Tag 142 - 148 (09.- 13.08.2023), Reise-Km 332 - 561, Wetter: sommerlich heiß bis 31°C, nördl. Winde 4 – 6 Bft.
Nach Vieste geht die Reise nach Süden entlang der italienischen Adriaküste vorbei am Landesteil Apulien. Um es vorweg zu nehmen, die Landschaft sieht nicht sehr reizvoll aus, zumindest bietet die Küstenseite – und die sehe ich ja nur – wenig Interessantes. Es ist karg und felsig zumeist, dazwischen immer wieder Ortschaften und kleine Städte vorwiegend aus weißen klötzchenartigen Zweckbauten.
Ich hangele mich von Hafen zu Hafen bis zum Stiefelabsatz Italiens nach Santa Maria di Luca, von wo ich bei günstigem Wetterfenster nach Westen über den Golf von Taranto, nach Crotone segle, ein Törn von ca. 70sm.
Aber zurück zu den letzten Tagen, ereignisreich und teurer als gedacht. Nach Bari fährt die „Lotus“ bei zumeist achterlichen Winden in die beschauliche Hafenstadt Monopoli, ein wirklich sehenswerter Ort. Ich mache kostenfrei an einem Transitkai fest und bummele am Nachmittag durch die Altstadt.
Die Anzahl der Altstädte, die ich bisher sah, wird wegen der Ähnlichkeiten langsam unübersichtlich und auch hier steht in teils engen Gassen ein wieder beeindruckendes Ensemble alter Stadthäuser vor einem malerischen Fischerhafen, der durch ein Tor in der gewaltigen Stadtmauer von der Altstadt erreichbar ist.
Ich kann in einem kleinen Laden Olivenöl, der Vater des Inhabers Cosimo Pacello stellt es selber her, und eine lecker Flasche Primitivo aus der Region Protteta, erstehen, beides musste ich zuvor kosten, es ist ein Erlebnis.
Am Abend fängt mich eine etwas traurigen Stimmung ein, die zum Sonnenuntergang flanierenden Menschen, Familien und Pärchen, erzeugen wieder Heimweh. Ich muss weiter.
Nach Monopolli ist das nächste Ziel der riesige Hafen von Brindisi, der neben etlichen Industrie- und Fischereihäfen auch Marinas für Freizeitboote beherbergt. Das Areal ist so groß, dass ich am Ende des Tages an einer 1sm langen Kaimauer bis zur nach Osten öffnenden Hafeneinfahrt entlang segele. Zum Segelbergen will ich den Motor starten, die Startversuche laufen ins Leere, der Motor startet trotz etlicher Versuche nicht.
Es bleibt nur eins, ich muss bis hinten in den nördlichen Hafenbereich segeln, um dort an einem Steg einer Marina festzumachen. Nach der letzten Wende lasse ich mich an einen langen und freien Steg abfallen und mache die „Lotus“ am späten Nachmittag fest.
Die Marineros der „Marina die Bindisi“ sind sehr hilfsbereit, schleppen mich mit einem Dinghi in die Nähe von geeigneten Versorgungssäulen ihrer Marina und lassen mich die Starterbatterie über Nacht laden. Das bleibt erfolglos, diese Batterie hat nach 5 Jahren ihren Dienst quittiert, am Morgen ist sie so leer wie am Abend zuvor.
Gleich in der Nähe ist ein ein großes Werftgelände des „Danese Yacht Service“, dort kann ich für 183€ eine geladene Batterie kaufen und einbauen, der Motor startet auf Schlüsseldrehung. Nach einer Dusche, einem Cappuccino, Erwerb einer Gasfülllung für 30€ und der Entrichtung von 60€ Liegegebühr fahre ich weiter südwärts, die Nacht möchte ich vor Anker in der Hafenstadt Otranto verbringen.
Die Fahrt dahin wird windig, mit zum Schluss 6 Bft. sehr windig und es baut sich mit Einbrechen der Nacht eine Welle auf, die die „Lotus“ derart in Bewegung halten, dass ich nur mühselig alles bedienen kann, was mich im Wind hält.
Trotz dass ca. 20kn Wind auf die Tücher drücken, schmeißen einige Brecher die „Lotus“ derart auf den anderen Bug, dass der Großbaum herüber knallt und bei einem Mal höre ich kaskadenartige Geräusche von etwas, was über das Dach nach unten auf das Deck fällt und ich hoffe, dass das nichts Wichtiges war. Ich tüdele ein Bullenstander an den Baum.
Die Nacht verbringe ich unter extremen Schwell im nördlichen Hafenbecken, ich kann mich nur kriechend im Boot bewegen, bin aber aufgrund des Schwerwettersegelns so fertig, dass ich keine Lust mehr verspüre, eine Alternative zu suchen.
Am Morgen habe ich kaum geschlafen, gegen 06.00 Uhr motore ich aus dem ungemütlichen Hafenbecken. Otranto soll lauf „Navily“ sehenswert sein, es ist mir aber egal, ich will den Heimweg antreten und bis zum Stiefelabsatz Italiens kommen, wo ich für Samstag und Sonntag pausiere, ich bin ziemlich runter, weil auch das Segeln anstrengend ist. Bei diesen achterlichen Winden und Windstärken über 4 Bft. ist die Selbststeuerung nicht einsetzbar, bei den auf das achterliche Heck einwirkenden Wellen steigt die Anlage ständig aus. Wenn man dann durchgehend 8, 9 Stunden an der Pinne oder zur Abwechslung am Steuerrad den Kurs hält, fällt man abends um neun Uhr ermattet in die Koje. Das geht auf Dauer nicht gut, ich weiß!
Vor dem Start in Otranto stelle ich mit Erschrecken fest, dass der Ausholer, der für das Ziehen des Großsegels aus dem Mast zuständig ist, aus der auf der Baumoberseite aufgesetzten Schiene abgeschert ist und lose über dem Baum hängt. In diesem schlittenartigen Rutscher ist die Hole-/Reffleine unter dem Achterliek nach einer Rolle eingefädelt und sorgt u.a. dafür, dass das Großsegel widerstandsfrei in alle Positionen gezogen werden kann.
Der kugelgelagerte Ausholer bewegt sich fast schwebend auf dem Baum, die eigenartigen Geräusche waren die zahlreichen Stahlkugeln des Lagers, die sich vom Deck in das Reich von Rasmus (s. z.B. https://segeln-gronau.de/rasmus/) verabschiedet haben (wo er doch schon so viele Sachen von mir hat!)
Ich kann mittels Bändsel ein Provisorium um den Baum basteln, damit kann man das Groß ziehen und wieder einholen und es steht einigermaßen, ist nur etwas schwergängig.
Zur Hafenstadt Santa Maria di Leuca sind es nur 22sm und auf den letzten Meilen geht es vorbei an einer zerklüfteten Küste, teils steil aufragend mit etlichen Grotten an der Wasserlinie, aber auch darüber. Mittels Fernglas lässt sich erkennen, dass diese Höhlen mitunter tief in das Gestein hinein reichen und sich im Inneren Stalaktiten gebildet haben.
Im bewegten Wasser vor den aufragenden Felsformationen stehen zahlreiche Ausflugsboote, diese Höhlen sind offenbar ein Ausflugsziel.
Im Hafen von Santa Maria di Leuca am südöstlichen Zipfel Italiens macht die „Lotus“ am Transitkai hinter einer neueren Bavaria 45 Cruiser fest, die an Deck geplündert aussieht und deren Bimini teils zerfetzt ist. Davor liegt eine weitere Bavaria mit Namen „Freedom“ aus Delaware im ähnlichen Zustand mit einer zerfetzten Genua und dann folgen zwei weitere Segler im ebenfalls desolaten Zustand.
Die Namen und Kennungen der beiden Nachbarboote sind auf dem ursprünglichen und überstrichenen Namen aufgeklebt. An dem älteren Segler an der Backbordseite der Bavaria hat man nur leicht den früheren Schiffsnamen „Julia“ und die frühere Kennung „RUS2465“ abgeschliffen und den neuen Namen „Linda“ aufgeklebt. Am Achterstag weht ein taufrischer Sternenbanner der USA.
Zwei Uniformierte der Guarda Costiera dieser Hafenstadt bitten mich später wegen eines herein kommenden Fischtrawlers backbords an die Bavaria 45 ins Päckchen zu gehen und erklären, dass diese Boote, es sind in der Folge sechs an der Pier, von Flüchtlingen für die Passage von der afrikanischen Nordküste über das Mittelmeer genutzt und anschließend beschlagnahmt wurden.
Was sind das für Schicksale, die diese Boote und ihre Besatzungen erleben mussten?
Die Kajüte der Bavaria Chruiser ist offen und ich werfe ein Blick hinein, es liegt das Mobiliar teils demoliert inmitten von Polstern und orangenen Rettungswesten und einer Vielzahl von anderem Inventar, zudem riecht es nach Fäkalien, ein bedauernswerter Zustand!
Ich verbessere noch das Holeprovisorium am Baum, mache mir Nudeln mit Butter und Ei an Parmesan und falle früh in die Koje.
Heute am Sonntag weht es ausgangs der Nacht mit einer guten 5 über das Hafengebiet, draußen wird es heftiger wehen. Den Wetterberichten vertrauend beruhigen sich die Winde erst ab Montag Mittag und es tut sich ein ausreichend großes Fenster für die Überfahrt nach Westen auf. Ich werde dann bald aus Crotone in der Region Kalabrien berichten!