Schwarzes Meer-Varna-Bosporus

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Tag 114 – 121 (22. - 30.07.2022)
Wetter: sommerlich heiß, bis zu 32°C, windig bei 3 - 6 Bft.

Die etwas länger Pause erklärt sich mit fehlendem Internet aufgrund der happigen Roaminggebühren in türkischen Netzen. Ich werde erst nach Einklarieren in Istanbul eine Prepaidkarte mit ausreichendem Datenvolumen erstehen können. Dann erscheint erst dieser Bericht, sorry.

Unser Konvoi ist im Bosporus! Das Schwarze Meer ist mehr oder weniger durcheilt. Wir haben Strecke gemacht, um schnellstmöglich den Teiler zwischen Orient und Okzident zu erreichen, hört man doch, dass in diesem Meer ab August mit stürmischer See zu rechnen ist und zudem ist als Ziel Mittelmeer ausgerufen worden.
Apropos ausgerufen: Gestern nachmittag haben die „Nocht“ und die „Lotus“ die türkische Grenze oberhalb von Igneada überfahren und sind in den Schutzhafen dieser Stadt eingelaufen. Wenig später ruft der Muezin vom Türm zum Abendgebet.
Am Ende des Gebetsrufes in Sangesform hört man eindeutig das Abschalten des Tonbandgerätes über die quäckigen Trichterlautsprecher. Wir sind ein wenig enttäuscht, weil nicht live gesungen.

Aber zurück zum Sorgenkind Autopilot, der auf der Fahrt nach Varna mit dem Dislpayhinweis einer Unterspannung seinen Dienst quittierte.
In Varna machen wir an einem Kai einer Marina unterhalb des Clubhauses fest, bezahlen 10 Euro Hafengebühr und ich kann mich wieder der Selbststeuerung widmen. Doch bevor ich den   Hydraulikmotor in Angriff nehme, schicke ich schnell noch Artur, dem Alteigner der „Lotus“ das Bild dieser Fehlermeldung und bekomme promt ein Anruf von ihm. Er vermute den Fehler in einer „“Schnittstelle“ auf dem Kabelweg zum Heck unter der steuerbordseitigen Winsch.

Noch in Ruse im Industriehafen hatte ich Zeit und mich diesem Kabelstrang in der Plicht unter dem Decksgang gewidmet, da ein wenig Ordnung geschaffen durch Entfernen toter Kabel und Fixierung des nun ausgedünnten Stranges mit Kabelbinder und flexibler Hülle.
Dabei sind mir die beiden gelben Kabelverbinder nicht sonderlich aufgefallen, die habe ich mit eingebunden.

Als ich nach Lösen der Kabelbinder und der Umhüllung einen dieser gelben Stromdiebe aus dem Kabelstrang ziehe, rutscht ein Kabel aus dieser „Trennstelle“, schwarz korrodiert.  Masseklemme am anderen Stromdieb offenbart das gleiche Bild, der Zustand beider Kabel lässt vermuten, dass da ganz wenig Durchfluss herrschte und ich beim Kabelsortieren die Pluszuleitung schon halbweg aus dem Verbinder gezogen habe.

Ich löte ein 10 cm langes Kabel in die Zuleitung ein, Schrumpfschläuche drüber und siehe da, der Steuermann arbeitet wieder.

Vor unseren Booten macht am späten Nachmittag, es ist Freitag, ein kleines Ausflugsboot fest, die etwa 25 jungen Leute darauf entschwinden in Richtung Clubhaus und dort steigt ab 18.00 Uhr eine Raveparty vom Feinsten, das heißt: monoton-öde Klangwelten mit pumpenden Bass-Drum-Fundament bei Lautstärken im Volllastbereich der Verstärkerendstufe.
Und wir liegen nur wenige Schiffslängen vom Clubhaus entfernt, kommen so schlaflos durch die Nacht und als Hidser und ich morgens an unseren Booten mit Kaffee in der Hand stehen ist um Punkt 06.00 Uhr – Stille.

Der folgende Tag auf dem türkisfarbenen Schwarzen Meer führt uns ein angenehmer Segeltag mit knappen 5 Bft. bei sonnigem Wetter bis nach Sozopol.
Vor dem Hafen dieser schönen Bucht ankern wir und können den Nachmittag in der Sonne und beim Baden in dem klaren Wasser genießen. Das hier ist nicht nur Reisen, manchmal fühlt es sich doch manchmal wie Urlaub an.

Sonntag, Tag 115, ein diesiger Tag mit kaum Wind und viel Motorfahrt bringt uns in den Schutzhafen von Zarjewo. dem letzten Hafen vor der türkischen Grenze, mit Ausklarien am Montag früh.
In den Schutzhafen laufe ich nach der „Nocht“ von Tynke und Hidser ein, sie haben schon längsseits an der Pier festgemacht.

Wieder sind Hafenmeister, und Offizielle an den Booten, begrüßen uns und lassen sich von der Reise berichten. Man bietet Hilfe an. die  wir in Anspruch nehmen, es muss Diesel und Proviant aufgenommen werden.
Der junge und sehr hilfsbereite Hafenmeister, übrigens der Einzige, der auf Funkanmeldung auf Kanal 16 antwortete, ist der Ansicht, dass bulgarische Taxis zu teuer sind.
Nach mehreren Telefonaten hat er ein Fahrer mit einem älteren VW Jetta organisiert, der uns zwei Mal zur Tankstelle (mangels ausreichender Anzahl von Kanister) und anschließend zu Lidl fährt.

Die Tankstelle im 60er-Jahre-Stil hat eine Tankwartin, die bereitwillig alle Kanister füllt und uns anschließend bedeutet, dass wir zur Bezahlung an die kleinen Durchreiche den Kartenterminal bedienen. Es ist nicht bequem!
Vielleicht genießt sie den Anblick vor ihr kniender Männer, man weiß es nicht.

Nach dem Auffüllen der Bestände gehen Tynke und ich in das Hafenbüro, um dort die Liegegebühr zu entrichten und sehen dabei erstmals die nach Bootslänge gestaffelte Preisliste ein. Das bedarf ein Klärung. Die nicht englisch sprechende Angestellte ruft in die Nachbarbüros Kollegen dazu, die auch nicht erklären können, wieso die „Lotus“ nur 30 Leva, die „Nocht“ mit nur 2,5 m mehr Länge dagegen mit 76 Leva pro Nacht berechnet wird.

Da nicht für jeden Unsinn zu haben sind, wählen wir die Alternative des Ankerns in dem Schutzhafen, was am nächsten Morgen bei der Zollbeamtin zur Anmerkung führt, dass wir für einigen Wirbel in dem Bürogebäude gesorgt hätten.

Abends lesen wir die Formalitäten für die Einreise in die Türkei und staunen über Zollvorgaben, wonach nur 1 Liter Hochprozentiges (über 22 %) und ein weiterer Liter vom Niederprozentigen eingeführt werden darf.
Wir beschließen, die Bierpaletten und andere Überzähligkeiten unsichtbar zu machen.

Tynke und ich sind nämlich Dienstag früh in das Dinghi gestiegen, das ich am Nachmittag noch mit dem Außenborder ausgestattet habe und haben unsere Papiere zum Ausklarieren beim Zoll im Erdgeschoss des Amtes vorgelegt. Die Beamtin des Zolls wolle aber noch unsere Boote inspizieren und wir könnten uns aussuchen, ob wir die Segler wieder zur Kaimauer bringen, wo das Hafenamt mit einer Tagesgebühr zur Kasse bittet, oder wir sie mit dem Dinghi zum Ankerplatz hin- und wieder zurückfahren. Tynke wirkt im Zollamt beruhigend auf mich ein.

Schließlich können wir Bulgarien in Richtung Türkei verlassen. Die nächste Möglichkeit des Einklarierens dort ist in Istanbul, wir dürfen bis dahin kein türkisches Land betreten und müssen die gelbe Flagge im Mast führen. Diese so genannte Q-Flagge (s. Flaggenalphabet) signalisiert, dass wir Einreisende sind und bei nächster Gelegenheit einklarieren werden.

Den Motor muss ich wenig später ausmachen, heftige Vibrationen schütteln das Boot, ich vermute diese Unwucht im Propeller, möglicherweise eine Leine oder ähnliches.
Trotz mehrfachen Rückwärtsgehen kann ich den Fremdkörper nicht vom Antrieb abschütteln. Der aufkommende Wind bei 3 Bft. lässt mich den anderen Vortrieb nutzen, Tauchen auf offener See befand ich nicht als zwingend.
Da ich aber auf dem Amwindkurs kreuzen muss, verliere ich viel Zeit und die „Nocht“ aus den Augen, sie verschwindet auch als AIS-Fahrzeug auf dem Bildschirm der Plotterkarte.

Erst Stunden nach ihr gehe ich an der ankernden „Nocht“ im Schutzhafen Igneada längsseits und mache fest.

Nachdem ich meine Probleme schildere, greift sich Hidser als ehemaliger Marinetaucher, seine Brille und Flossen und holt vom Propeller der „Lotus“ wenige Augenblicke später einen längeren Strang einer durchsichtigen Plastikfolie nach oben.

Für den nächsten Tag beschließen wir, die lange Strecke von Igneada bis in den Eingang des Bosporus in den Zielhafen Poyraz mit einer Distanz von 66 Seemeilen (x2 -10% ≈ km) abzufahren. Nahezu gegen die Windrichtung ist die Strecke nur unter Motor zu machen, Segeln hätte mehrere Tage gebraucht.
Der Törn beginnt um 06.00 Uhr,

Dass diese Fahrt ab Mittag eine einzige Kachelei gegen Winden bis zu 5 Bft. und nicht übertriebenen 2-m-Wellen bedeutet, ahnten wir nicht, die Vorhersage lag bei entspannten 3 Windstärken.
Trotz dieser gnadenlosen Schaukelei unter Motor arbeitet der Steuermann einwandfrei, ich sitze dabei in der Plicht oder auf dem Steuersitz und gebe mich dem Auf und Ab sowie seitlichem Rollen hin.
Es ist ein überwiegend ruckartiges Fahrstuhlfahren, unterbrochen nur von der Wucht etlicher Wellenberge, die die „Lotus“ bis zum Kiel auftauchen und dann mit heftigen Aufschlagen in das Wellental eintauchen und erzittern lässt.
Dabei verliere ich jedes Mal bis zu 3 Knoten an Fahrt, die der Motor wieder mühsam bis zur Sollgeschwindigkeit aufholen muss.
Der Wind ändert zum späten Nachmittag seine Richtung mehr auf NO, damit steigt die ein oder andere Welle backbordseitig in die Plicht ein, alles ist nass, die Luft um das Boot ist ohnehin mit feinstem Tropfennebel verhangen, die Scheibenwischer halten das Sichtfeld auch wegen der permanent überkommenden Gischt ganzer Wellenspitzen frei.

Selbst im Trichter des Bosporus lassen diese Verhältnisse nur langsam nach, wir gehen im rechten Winkel über ein Verkehrstrennungsgebiet und sind an der Ostseite, wo in Lee endlich Ruhe einkehrt und wir entspannt vor der Brücke nach links in den Hafen von Poyraz einfahren und ankern. Es ist mittlerweile 20.45 Uhr.

Noch während des Ankerfestfahrens kommt ein größeres Schlauchboot mit drei Mann Besatzung, von durch flackerndes Blau- und Rotlicht als Behördenfahrzeug erkennbar, längsseitig und lässt sich über unseren Status informieren.
Man heißt uns willkommen und wünscht uns gute Weiterfahrt. Es ist nett hier.

Die Bucht mit dem Schutz- und Fischereihafen Poyraz hat eine prächtig beleuchtete Hafenstraße mit vielen Anlegern und Gaststätten, dahinter steigt die Stadt an der Hügelkette auf, von einem Minarett wird später durch den Muezzin wieder zum Gebet gesungen.

Das Anlegerbier haben wir uns verdient, wir teilen die Freude über die Ankunft im Bosporus und Bewältigung dieser Strecke. Von der Uferpromenade dringt an diesem warmen Abend ein Gewirr an Stimmen, Gelächter und Musik bis zu unseren Booten.

Folgetag, Freitag, 29.07.2022

Der Bosporus. Diese Nahtstelle zwischen Europa und Asien ist in der Tat atemberaubend. An beiden Ufern macht sich nach der zweiten Brücke die in die Hänge gebaute Metropole breit, erst mit Vorstadtsiedlungen, dahinter Skylines aus Hochhäusern, diversen hochherrschaftliche Gebäude und Villen, viele Moscheen mit teilweise riesigen Kuppelbauten und hohen Minaretten.

Diese hoch frequentierte Wasserstraße, auf dessen Verkehrstrennungsstreifen massige Hochseeschiffe wie an einer Perlenkette unterwegs sind, um die sich alle kleineren Boote tummeln.

Tummeln ist nicht der richtige Ausdruck, die freien Wasserflächen sind vollgefüllt mit Fähren, Schleppern und sonstigen Behördenbooten und als wir als relativ langsamer Konvoi versuchen, keinea der Schiffe zu behindern. Es passt alles, manchmal allerdings so knapp, dass die aufgeworfenen Bugwellen das Geschirr im Schapp neu sortiert.
Nach der Fahrt durch den Bosporus ankern wir in dem kleinen Vorstadthafen Kumpaki, einem ehemaligen Industriehafen.

Um die Fahrt mit der aufgehenden Sonne im Bosporus zu genießen, sind wir um 5 Uhr auf, starten um sechs und ankern um 09.40 Uhr im Schutzhafen Kumpaki unterhalb von Istanbul.

Der Tag sollte aber noch deutlich länger werden und unsere Mienen auch, es folgt nämlich der Marsch durch die Behörden, nahezu erfolglos bis 20.00 Uhr.

Noch wohlgelaunt und euphorisiert durch das Erlebnis Bosporus und nach dem Ankern maschieren Tynke und ich zum Habourmaster, Hidzer bewacht die Boote.
Ein freundlicher Taxifahrer fährt uns für 10€ in die Innenstadt zunächst zum Bankautomaten (mangels türkischer Lira) und dann zum Hafenmeister, wo man nicht so recht weiß, was unser Begehr ist, offenbar sind Segler aus der Donau und Schwarzem Meer eher rar.
Nach Schilderung des Reiseverlaufs wird us erklärt, dass wir ein Formular, dem „Transit Log“ der Tourist-Transfer-Behörde im Deniz-Ticapet-Gebäude benötigen.

Dorthin eilen Tynke und ich bei mittlerweile annähernden 30°C auch, und man offeriert uns diesen 8-setigen Durchschreibesatz für umgerechnet 80€, das Ausfüllen übernimmt eine nette Mitarbeiterin des Amtes, die sich mit Ipek vorstellt. Diese Service schlägt noch einmal mit 5€ zu Buche, wir können mit Karte bezahlen.

Nach dem Fußmarsch von 1,5 km zurück in das Hafenbüro, wo man irritiert ist über das neue Formular, offenbar gab es jüngst Neuerungen.
Nach etlichen Telefonaten und Rücksprachen mit Mitarbeitern lässt der Hafenmeister dieses teure Formular mit Daten von Personen und Booten sowie Stempel ergänzen.

Es ist mittlerweile 14.45 Uhr und über diese derart offen zur Schau getragenen Inkompetenz werde ich langsam ungehalten. Es geht nur schleppend voran und Tynke muss wieder beruhigend auf mich einwirken.

Schließlich meint man, dass wir den Gang zur Grenzpolizei im Hafen Zeyport für die Passkontrole und „facekontroll“ antreten können.
Wir nehmen vor der etwa 12 km langen Fahrt in einem türkischen Schnellrestaurant einen lecker Imbiss aus gefüllten Blätterteilvarianten und Röllchen mit pfiffig gewürzten Frischkäse ein.

So gestärkt treten wir den Bus- und Taxiweg zur Grenz- und Zollbehörde an.
Die Metropole ist gerade im Freitagnachmittag-Feierabend-Vekehrsmodus, sie pulsiert in der Hitze des Sommers ohne jegliche Windeinwirkung. Fremde Klänge und Gerüche in dem lauten Stadtverkehr, wo sich Fahrrechte durch lautes Hupen und Dreistigkeit erkämpft werden, bilden ein Informationswirrwarr, den wir staunend einwirken lassen.

Mittels beständigem Durchfragen geraten wir in dem Gewusel tatsächlich zu einem Busbahnhof, wo wir ein Dutzend Busfahrer mit der wiederkehrenden Frage nerven, wo der für uns passende Bus abfährt.
Die rushhour nimmt hektische Züge an, dennoch finden wir uns im richtigen Omnibus wieder, er folgt der Küstenlinie nach Südwest, wir landen aber in einem Hafen etwas zu weit außerhalb.
Wir nehmen ein Taxi zurück in den Wunschhafen mit den Behörden.

Dort will man uns erst nach längeren Erklärungen einlassen, der Taxifahrer, der sich auf der Fahrt unser Vorhaben anhören muss, ist im Office behilflich.
Es ist kurz vor 18.00 Uhr und in der Pass- und Zollbehörde hat man Zeit. Es warten noch andere Fälle und wir beobachten, dass junge Männer, die offenbar seit längeren mit den Beamten bekannt sind, jeden Einwanderungswilligen begleiten, es sind die „Agents“, auf deren Dienste hier offenbar alle angewiesen sind.

Tynke und ich haben keinen „Agent“ und die Auseinandersetzungen mit den Offiziellen zermürben den Rest an Einsatzwillen. Man will uns keine Einresestempel in die Reisepässe und teuer erstandenen Formulare geben und wir verstehen es nicht.
Wir telefonieren mit Epik vom Deniz-Ticapet-Gebäude, die uns den den hochpreisigen Vordruck verkaufte und diese schickt in 20 Minuten Hilfe, es erscheint ein „Agent“!

Tynke und ich haben keinen „Agent“ und die Auseinandersetzungen mit den Offiziellen zermürben den Rest an Einsatzwillen. Man will uns keine Einresestempel in die Reisepässe und teuer erstandenen Formulare geben und wir verstehen es nicht.
Wir telefonieren mit Epik vom Deniz-Ticapet-Gebäude, die uns den den hochpreisigen Vordruck verkaufte und diese schickt in 20 Minuten Hilfe, es erscheint ein „Agent“!

Mit dem dauern die nachfolgende Diskussionen bis 21.00 Uhr, wir sind genervt über die Willkür und der Gipfel dessen ist erreicht, als der „Agent“ 500 – 750 € für seine Dienste der Einklarierung bekommen möchte und anmerkt, dass etwa der gleiche Betrag beim Ausklarieren Richtung Griechenland wieder bei einem „Agent“ fällig werde.
Ich muss beruhigend aut Tynke einwirken.

Die trägt einen heftigen Gefühlsausbruch, gut vor und bringt diesen „Agent“ in seinem machohaften Auftritt in Verlegenheit und als ich Unterstützung durch die deutsche Botschaft anmerke, wird die Stimmung merklich entspannter.
Der Grenzbeamte lässt den Eingang zu seinem ansonsten hermetisch abgeriegelten Büro mit seinen Milchglasscheiben offen und uns wird eiskaltes Wasser aus einem Spender offeriert.

Tynke und ich sind uns einig: wir werden dieses offenbar wohlgepflegte System der „Agents“ entgehen und uns selbstständig in den Besitz von Passstempel und Zoffbescheinigung bringen.
Dafür planen wir den morgigen Samstag in der City von Istanbul ein.

Wir haben etwa 4000 Kilometer hinter uns und bisherige Formalitäten des Grenzwechsels dauerten, abgesehen von meiner vorläufigen Festnahme in Giurgio/Rumänien, nie länger als eine Stunde.
Aber diese Summe von Inkompetenz, fragwürdigen Formulargebühren und mangelnder Kooperation und Hilfestellung fremdsprachiger Bootfahrer schmälert das bisherige Erlebnis Türkei derart, dass wir diese Tour keinem Skipper empfehlen können, es sei denn, dass dessen Reisekasse prall gefüllt ist und er solcher Abzocke Vorschub leisten will.
Die Eigner der „Nocht“ und der „Lotus“ jedenfalls werden den Aufstand proben!

Samstag, 30.07.
Wie geplant, steigen Tynke und ich wieder in den Bus und lassen uns in die Stadtmitte von Instanbul fahren, wir wollen zunächst mit Epik von der Einwanderungsbehörde sprechen, um zu erfahren, wie dieses hochpreisige Formular weiter bestempelt wird.
Wir hatten es schon einkalkuliert, dass dort Wochenende ist und somit ist der Hafenkapitän die nächste Adresse, um zu erfahren, wo das „Coastel Sanitary Center“ zu finden ist. Dieses Küsten-Gesundheitsamt soll den Ausschluss einer Seuche unter den Reisenden mittels Stempel bescheinigen. Aber das Hafenamt mit dem Hafenkapitän ist auch im wohlverdienten Wochenende.

Da wir nicht weiterkommen, telefonieren wir bei Cappucino, Tee und einer viel zu süßen Quarkspeise mit Blick auf den Bosporus mit der Dame, die uns das wertvolle Formular verkaufte und uns den „Agent“ in die Grenzkontrolle schickte.
Ipek findet die Störung an ihrem Wochenende nicht so schlimm und empfiehlt uns, mit den Segelbooten zur Grenzpolizei von gestern Nachmittag zu fahren, dort werden wir ohne Probleme einklarieren können und alle nötigen Stempel bekommen. Tynke und ich können es nicht fassen. Wenn das stimmt, verstehen wir den gestrigen Tag nicht mehr.

Nach Einkäufen in den engen Gassen mit Kleinstläden aller Art, die dicht an dicht nur von kleinen Restaurants abgewechselt werden, treten wir mit dem Bus den Rückweg zu unseren Booten an, um uns und diese bei den Grenzbehörden vorzuführen.

Wie immer und überall treffen wir auf nette Menschen, die wie in der Instanbuler Bushaltestelle uns in gutem deutsch ansprechen. Die Türkin aus Mannheim, die nur zum Urlaub ihre Heimat besucht, kann in der Schlange weiter vorne den Bus besteigen. Trotz zahlreicher anderer Fahrgäste hält sie zwei Plätze für uns frei.

Der Anker der „Nocht“ vor dem Schutzhafen geht am frühen Nachmittag hoch, wir fahren zu den Grenzbehörden etwa 5 sm weiter nach Süden. In der Bucht davor liegen hunderte Frachtschiffe vor Anker, die auf die Genehmigung zur nördlichen Passage warten.

Wir gehen an einen Anleger vor den flachen Gebäuden der Grenzämter, wo uns gestern das Einklarieren wegen des fehlenden „Agents“ verweigert wurde, legen dort die wertvollen Formularsätze vor, ein souverän-entspannter Grenzer nimmt sie uns ab und nur zwei Telefonate später bittet er uns in sein Büro.
Dort scannt er Boots- und Personalpapiere, füllt zwei weitere Formulare aus und bittet schließlich zur „facecontrol“, wo die biometrischen Daten des Gesichts mit anderen Daten verglichen werden. In dem Dienstzimmer erfreuen wir uns derweil an einer Katzenmutter, die ihre vier Kitten säugt, die sich dann genüsslich recken und schließlich aneinander kuscheln.

Da ich den erfolgversprechenden Arbeitsfluss des Grenzbeamten nicht stören will, der nun schon zu den erlösenden Stempeln greift, verkneife ich mir die Frage, wie dieser Gesichtsscheck arbeitet.

Wir müssen mit dem Uniformierten nur noch kurz in ein Nachbargebäude des Zolls, wo der Officer diesen noblen Formularsatz noch nicht kennt. Nach kurzer Erweisung durch „unseren“ Grenzer bestempelt er ihn aber bereitwillig. Die sonst üblichen Fragen nach illegal eingeführten Waren oder Waffen entfällt.

Man lässt uns wissen, dass das alles sei, wir sind einklariert und noch vor dem Ablegen heißen wir die türkische Flagge unter der Steuerbordsaling vor und fahren zurück zum Ankerplatz bei Kumpaki Balikci.
Heute gehen wir essen, wir haben unsere Beharrlichkeit zu feiern.

 

© OpenStreetMap u. Mitwirkende, CC-BY-SA

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