Ruse Tag 98 – 104 (07.07. - 13.07.2022) Donau-Km 493 (immer noch!) Wetter: sommerlich heiß, bis zu 35°C, windig bei 1 - 3 Bft., gelegentlich leichte Brisen, ein Gewitter mit Starkregen am 09.07.
Der 07.07., unser Hochzeitstag. Und ich bin nicht zu Hause, was mich schon bedrückt. Der Blumenservice Blütgen kann zwar liefern, bessert mein schlechtes Gewissen aber nur leicht.
Der Gedanke, dass diese Reise vielleicht nicht die brillanteste Idee war, macht sich zunehmend breit.
Ich bin am 07.07. dem 5. Tag im Hotel „Kristal“ und es ist Tag 14 in Ruse und ich kann noch nicht sehen, wann die Fahrt weiter geht.
Am Tag darauf hat Borislav das neue Ruder fertig und es wird eingebaut.
Es ist Freitag und der Einbau zieht sich, weil es mit einigen Widrigkeiten verbunden ist. Wie immer folgt nach einem kleinen Problem das Nächste und dann ein weiteres und somit rückt der Feierabend für Kranführer und Hafenmitarbeiter und das ersehnte Wochenende für alle näher und das schneller als mir lieb ist.
Es soll nach dem Wassern der „Lotus“ noch der Mast gestellt werden (ab Ruse sind die Brücken hoch geneug), ich kann mich mit meinem Plan der Einhängung des Mastes nicht durchsetzen und es sollen Hölzer in die Aufhängung eingebunden werden, die den Kontakt des Hakens mit dem empfindlichen Masttopp (Windmessanlage, Windex, Funkantenne, Ankerlicht) verhindern soll.
Die Angestellten des Hafens stehen derweil wieder im Schatten unter dem Kran (wieder sind es deutlich mehr als 30°C) und ich merke, dass die Stimmung dort nicht mehr die Beste ist.
Der Vorarbeiter kommt zu mir und lässt wissen, dass nun Wochenende sei und die meine geht in den Keller.
Erst recht, da nun Kristian kundtut, dass er erst am Dienstag wieder in Ruse sei, er erwarte Besuch über ein verlängertes Wochenende.
Ganz anders, nämlich alleine, verbringe ich mein Wochenende in dem Industriehafen, wo permanenter Ladebetrieb herrscht und damit der lärmende Kranbetrieb rotierender Stahltrossen das Entladen der Leichter auf der Donauseite und Beladung der in Schlange wartenden Lkw begleitet.
Eine zeitlang schaue ich den monströsen Stahlkränen zu, es ist beeindruckend, wie leicht sie diese tonnenschweren Rollen aus gewalztem Stahl auf die Laster mit Sattelaufleger hieven, die dann mit zwei Rollen ihre Ladungsgrenze erreicht haben und dem Nächsten unter dem Kran Platz machen.
Das Ganze wird von einer adretten Hafenmitarbeiterin genauestens protokolliert.
Ansonsten ist der Hafen öde. Mein Fahrrad liegt eingetütet auf dem Vordeck, ich bekäme es ohnehin nicht die etwa 10 m hohe Kaimauer hochgetragen. So lese ich, reinige die Bootshülle mittels Dinghi, wasche den Mast und öle die beweglichen Teile durch, bastele an Kleinigkeiten im Boot und lese.
Aber Sonntag Abend nach dem täglichen Telefonat mit Nicole rutscht meine Stimmung ab und ich gerate in einen Strudel von Heimweh, Frust und Enttäuschung.
Immer wieder komme ich zum auslösenden Moment dieses Ruderschadens und kann mich nur mit Mühe davon überzeugen, dass es ist wie es ist und Peer Steinbrücks Fahrradkettenweisheit auch hier gilt.
Dieses Ereignis mit dem Aufsetzen vor der Schleuse Mühlheim hat Zeit gekostet (über eine Woche Erlenbach mit Krankenhausaufenthalt, fast 3 Wochen in Ruse). Etwa ein Monat eher hätte ich im Schwarzen Meer sein können. Deshalb werde ich nicht durch das Donaudelta, was noch etwa zwei weitere Wochen braucht, sondern biege vorher bei Donau-Km 300 in Cernavoda/Rumänien nach rechts in den Donau-Schwarzmeer-Kanal ab, der nach etwa 70 Km bei Constanta in das Meer mündet.
Das ist nur eine Tagesfahrt und von Ruse bis zum Kanal sind es ca. 200 km, die vielleicht in drei Tagen abgefahren sind.
In Silistra (Km 378) möchte ich zum Besuch des Naturreservat Srebana einen Tag pausieren. Da ich die Pelikane nicht im Delta sehen werde, muss ich die Krausköpfigen dort besuchen, das jedenfalls empfiehlt das Donaubuch.
Auch empfohlen (besser: befohlen) hat mir Nicole die Fahrt durch den Kanal, auch hier vor Ort schlägt man wegen der russischen Einwirkung nur etwas mehr als 100 Km oberhalb des Deltas die Kanalfahrt vor, zudem sei aufgrund des gesunkenen Wasserstandes im Delta mit Untiefen zu rechnen.
Am Dienstag Mittag erscheint Kristian an der Hafenkante, er spricht mit dem Hafenmeister den Krantermin zum Maststellen für Mittwoch Vormittag ab und meine Stimmung hebt sich, es geht also doch noch weiter.
Mittwoch. Maststellen. Er schwebt dann ohne Probleme, auch wenn Kranführer und Kristian völlig andere Vorstellung zu dessen Aufhängung hatten.
Schon am Freitag gab es Diskussionen darüber und ich habe deswegen skizziert, wie ich es gern hätte und das wird nun umgesetzt. Man nimmt es murrend zur Kenntnis.
Als nun der Mast über dem Boot einschwebt und abgesenkt wird, höre ich ein metallisches Rascheln und sehe im Augenwinkel, wie eine Unterwant nahe der Backbordseite der „Lotus“ im Hafenwasser eintaucht.
Als ich das nach oben zur Hafenkante kommunizieren will, steht dort Kristian und hält eine weitere Unterwant in der Hand und mein Blick zu den Salingen bestätigt die Annahme, dass dort nun zwei Stahldrähte fehlen.
Da schwebende Mast wird von diesem Zustand erlöst, Achterstag, Vorstag mit der Rollfock und beide Oberwanten rechts und links fixieren den Mast und es werden Vorschläge zur abgetauchten Unterwant erörtert.
Mein Vorschlag, dass ich mit Flossen und Brille tauche, wird milde belächelt, wisse ich doch nicht, dass im Hafenbecken mindestens 1 m Schlick stehe.
Kristian schlägt die Beauftragung eines professionellen Tauchers vor und greift zum Handy. Ich lehne das ab, es dauere Stunden, wenn nicht sogar Tage, bis ich das Drahtseil wiedersehe und außerdem seien die Kosten bis hier eh schon mehr als üppig.
Dort wo ich an dem Frachtschiff liege, schweißen einige Arbeiter seit Tagen und die Schweißer haben das Maststellen in der ersten Reihe genosssen.
Unvermittel reicht mir ein Schweißer mit einem breiten Grinsen ein ca. 6 m langes Winkeleisen auf die „Lotus“ herunter, dass an einem Ende vier Hacken über Kreuz trägt. Ich kann das Eisenstück kaum anfassen, es ist vom Schweißen noch heiß.
Damit ziehe ich über die Stelle, wo die Want verschwunden ist und schon bei zweiten Versuch habe ich das Stahlseil am Haken, kann es an Bord ziehen und das Grinsen des Schweißers wird noch breiter, oben von der Hafenkante meine ich wohlwollende Zustimmung zu hören.
Nur, die beiden Unterwanten werden in etwa 7 m Höhe rechts und links am Mast eingeklinkt.
Ich bin kurz davor, die Fassung zu verlieren, als Kristian mir mitteilt, dass im ganzen Hafen nach Auskunft des Hafenchefs keine Leiter in entsprechende Länge existiere. Ich kann es nicht glauben, wie werden denn hier die Tiefen der Schuten und Leichter erreicht?
Wenn dem so ist, werde ich eine Leiter kaufen und diese dann dem armen Hafen schenken! Das rufe ich Kristian zu, erklimme die Kaimauer und gehe in Richtung seines Mitsubishi.
Dabei komme ich an zwei Schweißer vorbei, die unter einem Sonnenschutz, den sie sich mit einer ausziehbaren Leiter errichtet haben, den Deckel einer Schute richten.
Kristian überzeugt die Arbeiter, dass sie ihren Schutz aus Leiter und Plastikplane für 15 Minuten entbehren müssten. Sie legen eine Pause ein.
Mittels dieses am Mast angestellten Tritts kann ich die Unterwanten in 7 m Höhe befestigen und gegen 17.00 Uhr ist der Mast weitestgehend lotrecht gespannt und die Tücher eingehängt. So sieht also ein Segelboot aus!
Zuvor habe ich mich von Kristian noch herzlich verabschiedet. Er wünscht mir viel Spaß und Freude auf dem schwarzen Meer und an dessen schöner bulgarischen Küste, warnt mich noch vor der völlig überteurerten Marina in Silistra (mein nächstes Ziel, auch zum Ausklarieren), und immer die „Handbreit“
Morgen früh geht es endlich weiter.
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