Rüdesheim – Aschaffenburg, Tag 19 – 21
Rhein-Km 550 – 525, Main-Km 0 – 84
Wetter: angenehm bei 15 – 20°C, nachts bei 8°C, leicht windig bei 2 Bft., zumeist sonnig
Nach dem frühmorgendlichen Start und einer ruhigen Nacht in Oberwesel empfängt mich der Rhein wieder mit der üblichen Gegenströmung von 5 – 6 kn in die nächste Prüfung: das Binger Loch am Mäuseturm unterhalb von Bingen und dem rechtsrheinischen Rüdesheim.
So ganz ahnungslos bin ich nicht losgefahren und wie die Loreley soll auch ein früheres quer zum Fluss verlaufendes Riff am Mäuseturm anspruchsvoll und gerade bei Hochwasser schwer zu meistern sein, s. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Binger_Loch.
Tatsächlich nimmt kurz vor Rhein-Km die Gegenströmung zu und als ich an der Backbordseite von einem größeren Frachtschiff überholt werde und in dessen Sog gerate musste ich steuerbordseitig auf eine nahe grüne Fahrwassertonne achten.
Die tatsächliche Geschwindigkeit über Grund ist in dem Moment 0.0 kn und durch das glitzernde sprudelnde Wasseroberfläche an der Tonne war kurz der Ansicht, dass diese schneller als ich vorwärts kommt.
Nach dem Mäuseturm und später in Höhe von Rüdesheim verringert sich die Strömung deutlich mit „nur“ noch 3 -. 4 kn gegenan.
Nach der malerischen Uferpromenade Rüdesheim erreiche ich das Tagesziel in der Marina Rüdesheimer Yachtclub e.V. , wo eine halbe Stunde nach mir eine weitere Segelyacht mit gelegtem Mast besetzt mit drei jungen Männern einfährt. Sobald trifft man sich auf dem Steg und es wird schon wieder kurzweilig.
Nach dem Einkauf von Vorräten und Befreiung des knappen Stauraums vom Leergut folgt anschließend der Gang in den mittelalterlichen Stadtkern, der mit seinen hübschen Fachwerkhäusern, idyllischen Gassen und einem Rathausmarkt beeindruckt, wo eine Bronzefigur ein Glas Wein hebt.
Dort werden nacheinander ein Barber-Shop, ein Weinstand (mit hervorragendem Riesling) und anschließend eine Pizzeria geentert.
Der Herrensalon hatte eigentlich schon seit 20 Minuten geschlossen, der Chef sah beim Aufräumen meine traurige Miene und bat mich umgehend herein und vor einen Spiegel und hat mit meinen Resthaaren eine adäquate Frisur geschnippelt.
Am Mittwoch, dem 20. Fahrtag, steht der Main auf dem Plan und hinter Frankfurt mache ich an dem Tag die erste Nacht auf dem Main.
Diesen Fluss zu Berg fahren ist deutlich angenehmer, die Gegenströmung hat nur noch 2 kn, das Wasser ist zuweilen spiegelglatt und vor allem: es ist kaum Verkehr, nur wenige Frachtschiffe kommen mir entgegen, ansonsten ist das recht entspannt. Das sollte sich ändern!
Trotzdem ist es schade, der Rhein und insbesondere das Obere Mittelrheintal mit seinen Windungen, den Weinhängen, Schlössern und Burgen sowie den netten Leuten hat sich eingeprägt, es lohnt sich ein weiterer Besuch, vielleicht zur Weinlese.
Der Rhein zollte mir schon Respekt ab und der Main fordert auch seine Aufmerksamkeit!
Nach Frankfurt fahre ich gegen 13.00 Uhr vor die Schleuse Mühlheim und dort reagiert man nicht auf meine Funksprüche. Der Gerät ist in Ordnung, ich hatte es tags zuvor getestet.
Ein Anruf bei der Zentrale, die u.a. für dieses Hebewerk zuständig ist, erbrachte den Hinweis, dass vor dem 13.05.2022 nichts geschleust werde, diese Schleuse in Mühlheim sei wegen Reparaturarbeiten außer Betrieb, man warte derzeit auf Ersatzteile.
Mit einiger Frustration diesel ich wenige Mainkilometer zurück, um im Sportboothafen Maintal die entsprechende Liegezeit zu organisieren. Der dortige Hafenmeister schenkte der Auskunft kaum Glauben und schlägt vor, die kleine Sportbootschleuse an der Anlage zu nutzen, die sei ausreichend groß und lasse sich vom Skipper selbst bedienen.
Erneut gehe ich Richtung Schleuse und kurz danach in Höhe vom Sportboothafen Mainkur muss ich einem Frachter nach Backbord ausweichen und fahre das Boot ein weiteres Mal fest. Dieses Mal derart ins Geröll des Grundes, das Hilfe nötig ist.
Die Angler am nahen Ufer, die die desolate Lage erkennen, nehmen die 38 m Leine, mittels Wurfball und leichter Schnur geschleudert, an und binden Erstere an einen Anleger für Kleinboote fest. Über die Winschkurbel steuerbords bewegt sich die „Lotus“ sogleich von der Barre und mittels langsamer Rückwärtsfahrt Richtung Strommitte.
Wohl wissend, dass die Leine nicht in die Schraube darf, halte ich diese ständig straff. Durch Drehen des Bootes in der Strömung und der Schwere der Leine gerät diese unter das Boot und natürlich in den Propeller. Es folgen: Stopp der Maschine, Ausrauschen des Ankers, rote Warnflagge (knallrotes Frotteehandtuch, danke Nico!) zur Flussmitte ausgehängt und Erstellung eines neuen Plans.
Die bisherigen Aktivitäten hat ein Mann etwa gleichen Jahrgangs vom Sportboothafen beobachtet und sichert umgehend Unterstützung mittels Schlauchboot zu.
Nach Anziehen von Neoprenanzug, Flossen und Brille kann ich mit ihm, der mich zwischen Heck und Schlauchboot mittels Leine sichert, mittels Tauchgänge bei 12° im Wasser abwickeln und nach oben holen.
Nach Abtrocknen und Bekleiden stellt der freundliche Helfer sich als Wolfgang Grün vor und schildert, dass es saisonweise mehrfach zu Abrissen von Antriebseinheiten auf der Untiefe komme und es dort eine weitere Fahrwassertonne bedürfe.
Wolfgang begleitet mich bis zur Schleuse Mühlheim, wo gerade ein größeres Frachtschiff aus der großen Schleusenkammer herausfährt.
Mein werter Unterstützer übernimmt für mich die manuelle Bedienung der kleinen Schleuse, ich bedanke mich nochmals und nehme weiter Fahrt auf.
Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, wie es zu dieser Auskunft der Zentrale gekommen ist, habe ich wieder Erfahrungen gesammelt und einen neuen netten Zeitgenossen kennen gelernt. Danke nochmals, Wolfgang!
Nach zwei weiteren Schleusen bricht die Dunkelheit herein und ich mache im Hafen Aschaffenburg an einem Industrieanleger fest. Mir ist kalt.
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