Häuser in Ruse

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Ruse
Tag 94 – 97 (03. - 06.07.2022)
Donau-Km 493
Wetter: sommerlich heiß, bis zu 37°C, windig bei 2 - 3 Bft.

Es ist brüllend heiß, der Sonntag steht dennoch ganz im Zeichen des Radelns durch die Innenstadt von Ruse und dabei muss ich an das Donau-Buch denken, wo diese Stadt mit ihren knapp 150.000 Einwohner als Klein-Wien beschrieben wird.

Und ja, es stehen insbesondere in der City rund um den Friedensplatz etliche Gebäude und ganze Zeilen beeindruckender Stadthäuser, auch die Museen, die Bibliothek, Staatstheater zeigen sich herausgeputzt und strahlen in einer geschmackvollen Farbgebung, meist in Pastelltönen, dazu die eiserne Balkone, es hat Charme!

Der Blick in diese Kulisse wird aber meist eingetrübt durch sozialistische Zweckbauten, die überall präsent sind und nicht den notwendigen Abstand halten zur vor-sozialistischen Städtebaukunst.

Mein Blick geht aber immer auch hinter die Kulisse und da verfallen etliche Schmuckstücke.
Nicht nur das, was sich in den Flanierzonen nur ansatzweise zeigt, setzt sich in den Straßen und Gassen der zweiten Reihe krass fort: Die Fußwege lassen sich nicht benutzen, die fehlenden Belege, tiefe Einschnitte, eiserne und scharfkantige Reste von irgendwelchen Pfosten oder abgestellter Unrat zwingen den Fußgänger auf die Flickschusterei der Straßen, wo hin und wieder Fahrbahnabsenkungen oder fehlende Gullideckel die ganze Aufmerksamkeit des Autofahrers fordern.

Fußweg

Abseits der wenigen Fahrradwege ist man zur Teilhabe am Autoverkehr gezwungen, deren Fahrer die seltenen Velofahrer nur ungern ausreichend Platz gönnen. Um nicht in die eine oder andere Absenkung, Schlagloch oder offenen Abwasserschacht zu versinken, braucht es maximale Konzentration.

Das soll hier kein Ablästern über bulgarische Zustände werden, das steht mir nicht zu!
Aber entweder mangelt es hier am Willen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur zu investieren, oder ich bin verwöhnt.
Möglicherweise ist es beides, aber der Zustand der zum Teil sehr beachtlichen alten Stadthäuser ist beklagenswert.

Und mir fallen wieder die beiden jungen Männer ein, die ich in Swistov traf. Sie behaupten, dass res sich die Elite des Landes mit den Steuergeldern, die in dem Gemeinwohl gehören, gut gehen lässt.
Ich kann das alles nicht beurteilen und ich weiß nicht, wie sich die frustrierenden Ansichten niederschlagen und ob es für die Einwohner Ruses überhaupt beklagenswert ist. Aber spätestens der Zustand der Fußwege wäre ein Grund, den Verantwortlichen Fragen zu stellen.

Gegenüber backt eine ältere Dame im weiten Sommerkleid etwas in siedenden Öl.
Aus mehreren Metern über den brusthohen Zaun hinweg kann ich Fragen zu diesem mehrstöckigen Haus gegenüber stellen und sie antwortet in einem fließenden Englisch, dass deutlich besser ist als meine, dass vor dem Krieg eine Schokoladenfabrik darin gewesen sei. Danach hätten die Sozialisten den Besitzer enteignet und Ämter darin untergebracht, eine Zeitlang die Justiz und später sei auch eine Gaststätte darin gewesen.
Nach dem Sozialismus habe man das Anwesen dem Alteigner bzw. dessen Erben angeboten, die hätten dankend abgelehnt.

Ruine8a

Man kann es ihnen nicht verdenken, es ist trotzdem schade. Die sozialistische Ära dürfte für für manches Gebäudeschicksal – und nicht nur dafür – verantwortlich sein. Aber das ist mittlerweile über 30 Jahre her.

An einem Stück Zaun, den sich ein Baum bemächtigt, kommt mir noch ein anderer Gedanke: Es ist völlig egal, wie wir unsere Städte pflegen, die Evolution hat vermutlich schon längst erkannt, dass die Gattung Mensch ein fataler Fehler ist, weil sie sich ihrer Lebensgrundlage beraubt.
An diesem Eisenzaun probt die Natur schon einmal für die Zeit danach!

Insgesamt bin ich zunehmend frustriert, diese Stadt könnte im inneren Zirkel zumindest auch in den Nebenstraßen glänzen und ich wünsche mir für die Bewohner, dass diese Zustände geändert werden.
In Wien (und da bin ich auch durch die Nebenstraßen geirrt) hat man noch für die kleinste Gasse abseits der touristisch herausgeputzten Prachtstraßen ausreichend Mittel, um diese mit einem anheimelnden Charme auszustatten.
Und die Fußwege lassen sich im blinden Vertrauen begehen, der Blick muss nicht aufmerksam auf den Bereich vor den Schuhen gerichtet sein, sondern kann sich an den schmeichelnden Häuserzeilen, hübschen Einblicke in Gassen, Vorgärten oder Toreinfahren verwöhnen lassen.

An der „Lotus“ geht es weiter, der Hitze zum Trotz. Ich habe meinen kleinen Sonnenschirm über den jeweiligen Arbeitsplatz gegen die Sonne ausgerichtet, Wanten und Schoten entwirrt und die Halterung des Radars oberhalb der Salinge angebracht.
Das geht wegen der 35°C im Schatten alles nur sehr behäbig und mit vielen Pausen.

Zwischenzeitlich beliefere ich den Bootsbauer Borislav mit Details zum Ruderneubau, die ich auf dessen Anfragen erst bei den Dänen des LM-klubben.dk per Email erfragen muss.
Aber die liefern prompt, mein bisheriger Gesprächspartner Herluf ist segeln, er vermittelt weiter und nur eine halbe Stunde später kann ich die von Karl, einem anderen Clubmitglied, gemailten Details an Borislav weiterleiten.

Auch aufmunternde Telefonate mit Jan (dem Schreinermeister aus Düsseldorf, Medienhafen) und Tina und Freder von der „Fairplay“ – gerade in der Gegend von Budapest – machen die frustrierende Situation des Stillstandes erträglich (Danke, ihr Lieben!).

Heute ist Mittwoch und die Radaranlage soll verkabelt werden. Damit tun sich wieder Probleme auf. Das recht dicke, weil abgeschirmte Kabel mit hohem Querschnitt, passt nicht mehr in den Kabelkanal, der Kabelzieher geht da weder von oben noch von unten durch. Also neue Löcher in den Mast und damit wird das dann auch.
Das alles wieder bei sengender Sonne (im Boot messe ich 37°C), da ich mit dem Kabel an verschiedenen Stellen des Mastes arbeite, schützt der kleine Sonnenschirm nur teilweise.

Gegen 12.00 Uhr begrüßt mich Borislav und packt die Utensilien aus, die er für die kosmetische Reparatur des Kiels benötigt.
Wenig später trifft auch Szegdin mit einem Mitarbeiter ein. Ich blicke da nicht mehr durch, ob Szegdin ein Mitarbeiter von Borislav ist  oder ein Hafenangestellter, vielleicht trifft beides zu.

Er nimmt sich der Gummimanschette um den Saildrive an, die ist nahezu komplett eingerissen, hängt nur noch mit Resten einer Verklebung am Rumpf und müsste eigentlich mit einem Neuteil ersetzt werden.
Szegdin schneidet ein passendes Stück von einer Gummifläche ab und zurecht, diese wird auf die alte Dichtung vulkanisiert, der Prop abgebaut, um die Saildriveöffnung herum geschmirgelt, die Dichtung aufgeklebt und gepresst und Szegin ist mit seiner Arbeit zufrieden. Ich bin es auch.

Borislav geht mit Epoxy und Glasfilamentgewebe gegen die Schürfstellen am Kiel vor und nach zwei Stunden ist alles wieder schick und ich bin allein. Morgen werde man das neue Ruder einbauen.

Zwischendurch reicht mir Borislav sein Handy, die Tochter könne ein wenig deutsch und wolle wissen, was dieser „estimate“, also dieser Kostenvoranschlag sei. Die junge Dame spricht in der Tat ein gutes Deutsch, sie studiert in Wien und etwas Derartiges habe sie noch nie gehört.

Nach meinen Anregungen, wie sie  die Arbeits- und Materialkosten nur grob mit einer Summe auf einem Briefvordruck schreiben möge, werde ich wohl bis morgen Mittag eine brauchbare Vorlage für die Versicherung bekommen.
Die will nur mit einem Kostenvoranschlag in Vorleistung gehen und Auszahlungstag sei zudem nur Freitags. Ich ahne, das wird noch munter mit der Assekuranz.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Günter

    Hallo Thomas
    halte durch,
    viele Grüße Günter

  2. Dieter

    Hey Thomas
    Ich glaube du hast Glück
    In mittel Europa wäre es wahrscheinlich Unbezahlbar oder Thema Totalschaden.
    Eigentlich hast du wahrscheinlich die richtigen Fachleute für dein Boot.
    Hat du auch noch Detail Fotos von den Reparaturen?
    Mach doch mal einen kleinen Bericht von den Arbeiten 👍🏻

    Dieter

  3. Peter

    Hallo Thomas, schöne Schei….e. Und das Du noch allein bist, schade. Die Eindrücke der Reise hätte ich gern zusammen mit Dir erlebt.
    Mach weiter, Kopf hoch.

    Und diese Probleme zwischen Bulgarien Rumänien an der Grenze? Die spinnen wohl, die „Römer“.

    Ich dachte, wir wären eine EU, ob nun Schenger oder nicht.

    Interessant das Gespräch mit der älteren Dame mit dem perfekten Englisch. Da stellt sich mir dann wirklich die Frage, ob die zur EU gehören……

    Grüße
    Peter

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