Oreahovo - Swischtow - Ruse
Tag 82 - 85 (21. - 24.06.2022
Donau-Km 678 - 496
Wetter: sommerlich heiß, bis zu 32°C, windig bei 1 - 2 Bft., am 21. 05. frischt es mit 4 Bft. am Rande der Gewitter auf
Den Vormittag des 21.06. habe ich in noch in Oreahovo verbracht, ich musste zum Friseur und gehe in der Innenstadt zu dem Friseurladen, der gestern mit einem Schild auf heute vertröstete. Die ältere Inhaberin, wie viele in Bulgarien spricht sie leider kein englisch, sieht sich meinen Kopf an und gestikuliert, dass sie das nicht machen könne und zeigt mir ihre beiden Akkumaschinen, die beide offenbar ohne Ladung sind. Ich verstehe, dass sie drei Stunden zum Aufladen brauchen.
Draußen vor dem Friseur hat gerade eine Familie auf der Rückbank eines Taxis Platz gefunden, schnell frage ich den Fahrer, wo denn der nächste Coiffeur sei. Mit Handgesten der schneidenden Schere über dem Kopf nicke ich hoffnungsvoll, er bedrängt mich, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen und fährt mich mitsamt der Familie in die Oberstadt, geht mit mir zu dem Barber und übergibt mich in dessen Hände. Geld für die Fahrt wolle er nicht.
Nach dem Schnitt gehe ich von der Oberstadt einige Straßen wieder in die unteren Etagen von Oreohovo und genieße die grandiose Aussicht bis hin zur Donau.
Weiter unten kehr ich noch einmal in das Restaurant von gestern Abend ein. Die Inhaberin versteht mich immer noch nicht und ein gut englisch sprechender junger Mann übersetzt.
Er, Emil, setzt sich zu mir, wir kommen ins Gespräch und erklärt mit einiges zu Bulgarien.
Seit dem Zerfall des Ostblocks sei auch sein Land von einer Abwanderungswelle erfasst, die mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung des Landes aushabemache, hier in Oreohovo fehlen zwei Drittel.
Die Kleinstädte vereinsamen und werden schlicht vergessen. Allein die Zentren wie die Hauptstadt Sofia und größeren Städte an der Schwarzmeerküste dünnen nicht aus.
Das hatte ich schon auf Wikipedia nachgelesen. Das erklärt speziell für diese Stadt wie vermutlich viele andere Kleinstädte Bulgariens den desolaten Zustand ganzer Straßenzeilen.
Das angeregte Gespräch dreht sich bald um Europa und schließlich um den Ukraine-Krieg und schnell lässt Emil wissen, dass die Nato-Osterweiterung zum großen Teil Schuld sei an dem derzeitigen „horrible“ Desaster, Russland habe keine andere Möglichkeit gehabt, sich aus der Umzingelung durch die Nato zu befreien.
Die Nato diene ohnehin nur den USA zur Okkupation weiterer Gebiete und das Ganze werde von den zehn wichtigsten Reichen, darunter die Familie Rothschild, initiiert.
Ich lasse ihn wissen, dass das große Russland sich nur an ein kleines Stück Westgrenze mit wenigen kleinen Ländern teile, die sich der Nato freiwillig zugewandt haben, von einer Einkesselung also nicht die Rede sein kann.
Er lässt das nicht gelten, schließlich könnten Raketen der Nato aus Richtung der Ukraine in drei Minuten Moskau erreichen.
So ähnlich habe ich das alles schon in Serbien gehört. So legt sich jeder seine Wahrheit zurecht und ich bin immer weniger bereit, mich mit diesen Ansichten auseinanderzusetzen.
Zurück am Ponton der „Lotus“ schuppt ein Mann einen recht großen Fisch unter fließendem Wasser ab und ich möchte fragen, was das für ein Fang sei. Leider antwortet er nicht und belässt er es dabei, den Fisch mit der noch beschuppten Seite in Richtung Kamera zu halten. Er ist stolz, das ist zu sehen.
Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg in die nächste bulgarische Stadt, Swischtow, die ebenfalls oberhalb des rechten Donauufers aufgebaut ist. Swischtow hat einen größeren Hafen mit einer Fährverbindung für Lkw zur rumänischen (linken) Seite und etwa 28.000 Einwohner, laut Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Swischtow) wurde die einstige römische Festungsstadt in ihrer wechselvollen Geschichte von Slaven, Türken und Russen mehrfach zerstört.
Mir fallen wie schon wie in Oreohovo teils zerfallene Häuser, desolate Straßen und Fußwege und nur halbwegs gepflegte öffentliche Anlagen, aber auch ehemals prachtvolle Gebäude auf. Später erfahre ich von zwei jungen Leuten in einem Strßencafé, dass die Hauptschuld der desolaten Zustände diese stets korrupten Regierungen tragen, die sich nach den Wahlen jeweils nur die Taschen vollmachen und die gesamte Infrastruktur verkommen lassen. Bulgarien sei wohl dass korruptes Land Europas und man könne alle verstehen, die das Land verlassen. Deshalb sehe es fast überall so aus wie hier.
Es ist traurig, diese Zustände mit anzusehen, diese stets freundlichen und hilfsbereiten Menschen haben das nicht verdient.
Natürlich schaue ich mir heute am Donnerstag auch die Sehenswürdigkeit Swischtow an, darunter eine alte Turmuhr, die zwei Steintafeln mit arabischen Schriftzeichen in ihrem Mauerwerk trägt und erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts gebaut wurde. Die Hinweistafel gibt außerdem kund, dass dieser Turm bei dem Erdbeben 1977 massiv zerstört wurde. Die Bedeutung der arabischen Tafeln unterschlägt das Hinweisschild.
Ich hatte schon auf Wikipedia von diesem Erdbeben gelesen, dass sich von Rumänien nach Süden ausgebreitet hat und hier aufgrund der größten Zerstörung auch den Namen Swischtow-Erdbeben bekam, bei dem allein in dieser Stadt über 100 Menschen ihr Leben verloren.
Damit war meine Neugier geweckt und ich machte mich zur Touristeninformation auf, wo ich die sehr gut deutsch sprechende Emilia antreffe, die mir von dem Erdbeben schildert und auch auf einem Stadtplan auf zwei Gedenkplätze hinweist, wo die Namen der verstorbenen Hausbewohner zweier eingestürzter Hochhäuser verewigt sind.
Die orthodoxe Kirche, deren Eingang zwei drehbare Säulen zieren, habe ebenfalls massive Schäden davongetragen.
Und ich möge an den Säulen am Eingang der Kirche drehen, das bringe Glück und Gesundheit!
Dorthin mache ich mich als nächstes auf und treffe auf den sehr freundlichen Priester Michael, der zunächst seine Kirche vorstellt. Ich bin überwältigt vom Inneren, die ganze Wand, quasi die Altarwand, zeigen Ölgemälde biblische Szenen, angefangen von der Schöpfungsgeschichte bis zum letzten Abendmahl, die einzelnen Apostel und auch Abbilder von Gott selbst, dargestellt als etwas grimmig dreinschauender alter Mann mit prachtvollem weißen Haar- und Bartwuchs.
Mit dem Erdbeben habe auch seine Kirche Schäden davongetragen und beim Wiederaufbau wurden diese Drehsäulen auch wieder eingearbeitet, die, wenn sie sich nicht mehr drehen lassen, auf den Beginn einer großen Zerstörung hindeuten. Draußen zeigt mir Priester Michael die beiden drehbaren Säulen, hier darf ich Bilder machen. Vom Inneren seiner Kirche sowie den Zerstörungen schickt er Bilder per Email. Vielen Dank dafür!
An der rechten Seite vom Eingang entdecke ich die Abbilder von 12 Jugendlichen mit dem Hinweis auf das Datum 04.04.2004. Da ich die Zeit des Priester schon mehr als genug in Anspruch genommen habe lasse ich mich von Emilia aufklären.
Sie erzählt, dass es an diesem Tag ein Reisebus mit Schülern und Erwachsenen aus Swischtow in den Lim-Fluss an der serbisch-montenegrischen Grenze in den Fluss Lim stürzte und schnell versank (https://bnr.bg/de/post/101252737/16-jahre-seit-tragischem-busungluck-am-lim-fluss). Für zwölf Kinder kam jede Hilfe zu spät. Sie werden deshalb die „Heiligen vom Lim“ genannt.
Mit einem Taxi lasse ich mich zu einer der Erdbeben-Gedenkstätten fahren, der Taxifahrer spricht leider nur bulgarisch und bemüht sich dennoch, mir gestenreich das Ausmaß der Zerstörung vom 03.04.1977 zu schildern. An der Gedenktafel dieser 74 Namen deutet er auf einen Namen, ein Junge Jahrgang 1964, der, so ich das richtig verstanden habe, sein Neffe sei. Er hat Tränen in den Augen.
Gegen Mittag komme ich dann zur Lotus zurück. Sie ist eingeparkt von einem meiner Lieblingsschiffe von der Flusskreuzfahrtgesellschaft Wiking (Schweiz), die derartige Wellen schieben, das sogar die Motorbootfahrer vor Neid erblassen.
Ich erfahre, dass erst am Nachmittag Abfahrt ist. Somit starte ich tags darauf am 23.06. von dieser Donaustadt an der südlichsten Windung der Donau in die nächste, nach Ruse/Bulgarien.
Der Hafenkapitän, auch Emil, ein gemütlich-freundlicher Beamter hat nichts dagegen, es ist wieder kostenfrei. Er versorgt mich noch mit Äpfel und mangels Schlauch bekomme ich 20-l-Kanister zum Befüllen meines Wassertanks.
Von einem Matrosen der Wiking Ullur, Peter, der sich mit mir auf deutsch am Ponton unterhält bekomme ich eine Name und Telefonnummer von seinem Bekannten aus Giurgiu/Rumänien, gegenüber von Ruse, der mir bei der Beseitigung der Schäden an der unteren Schiffshälfte durch die Grundberührungen helfen wird.
Die Lotus muss aus dem Wasser, gegebenenfalls muss mit Epoxy und Antifoulingfarbe nachgebessert werden. Anschließend wird der Mast gestellt, die „Lotus“ ist schließlich ein Segelboot!
Auf der Weiterfahrt fällt mir wieder auf, wie breit die Donau wird und wie schmal dabei einige betonte Fahrwasser sind, mit ausgedehnten Flachbereichen von nur noch knapp 4 m darin. Dazu scheint der grüne Uferstreifen von Baum- und Buschbewuchs nicht abzureißen, nur hin und wieder ist er offen und lässt den Blick auf die Landschaft dahinter zu. Immerhin mehren sich die ausgedehnten Schilfbereiche an den Ufern.
In Ruse mache ich am „Yachtclub Port Ruse“ an und wundere mich nicht mehr über die etwas verwegenen Anlagen.
Und das gehört mit zur Erfahrung dieser Reise: Den manchmal zu gehobenen Standard der Ostsee sucht man am unteren Lauf der Donau vergebens. Man kann sich aber gut mit dem arrangieren, was da ist, zumal immer einer der freundlichen Leute ansprechbar ist, der hilft oder einen kennt.
Lieber Thomas
Mit Freude lese ich deine Berichte und vergleiche den Thomas mit dem Thomas wo im Erlenbacher Hafen von seiner Überführung gestrandet ist.
Du machst dich inzwischen als Weltenbummler schon ganz gut.
Was macht dein Ruderanlage.
Dieter