Tag 131 – 134 (09. - 12.08.2022) Wetter: sommerlich heiß, bis zu 31°C, windig (stets NO) bei stets 4 - 7 Bft.
Von Lapseki fährt unser Konvoi wieder mit achlerlichen Winden um 4 – 5 Bft. in den Stadthafen Çanakkale ein. Nur in diesem Hafen kann ich die Behördengänge zum Ausklarieren (Transit/Passbehörde, Zoll, Borderpolice, Hafenkapitän) durchführen, so schreibt es das Transitlog mit dem hochwertigen Durchschriftsatz vor.
Tynke, Hidzer und ich gehen noch einmal gemeinsam in die Stadt Çanakkale und sind beeindruckt von dem trubeligen Leben auf den bunten Straßen, den Basaren, den Palmen am Kai und dem Verkehr, der auch dem Fußgänger das Überleben nicht leicht macht.
Wir kaufen noch ein paar Kleinigkeiten ein und bummeln durch die Stadtmitte. Dabei ist in nähe unseres Hafens das Trojanische Pferd aus dem Epos mit Brad Pitt leibhaftig auf der Hafenpromende abgestellt.
Bei der Einfahrt nach Çanakkale und gegenüber auf dem europäischen Ufer fallen riesige Bilder mit Schriftzügen auf, wo jeweils das Jahr 1915 genannt ist.
An einer der Hauptkreuzungen in dieser Stadt sind zwei Kanonen abgestellt, die offenbar aus einer Verteidigungsanlage stammen. Die große Kanone mit dem Gestell trägt im Gestell ein riesiges Loch des Kanonentreffers, der allerdings die Funktionstüchtigkeit dieses Geschützes nicht beeinträgtigte. Auf einer Tafel können wir nur die obige Jahreszahl entziffern.
Ich hatte gelesen, dass es im 1. Weltkrieg eine verlustreiche Schlacht am Eingang der Dardanellenstraße zwischen Engländern mit seinen Verbündeten und Türken zwecks Kontrolle der Meerenge und damit auch den Einfluss auf den Bosporus und das gesamte Schwarze Meer entbrannt war. Diese Geschütze stammen offenbar aus der Schlacht von Gallipoli.
Am späten Nachmittag ruft Tynke zum briefing für die Planung des nächsten Törns. Das haben wir seit Constanta geplegt, auf vielen Jachten wird dazu der Begriff sundowner zum frühabendlichen verkosten von Gin/Tonic verwendet.
Aber tatsächlich sprechen wir den Törn des Folgetages ab mit Navigation, Wettervorhersagen, Alternativen usw. Dazu wird das Erlebte revidiert und die Sticks mit den Bildern ausgetauscht.
Diese Mal hängt unser Abschied in der Luft, unser Verband wird aufgelöst und das schmerzt. Noch einmal wird geherzt und zugeprostet in dem Wissen, dass uns das gemeinsam Erlebte keiner nehmen kann und es wertvoll ist.
Tynke schenkt mir zum Abschied ein kleines Nazar-Amulet, ein blaues, augenförmiges Amulet, das den Bösen Blick abwenden soll, das hängt jetzt in der Messer, gegenüber dem Strohhut von Tomislav aus Kroatien.
Heute morgen gegen 05.45 Uhr startet der Diesel der „Nocht“. An Deck ein letztes Mal Umarmungen und gute Reise. Wir bleiben in Kontakt!
Die Behördengänge in Çanakkale gestalten sich recht entspannt, innerhalb von 2 Stunden habe ich alle Stempel und Unterschriften im hochkarätigen Transitlog und auch der Hafenmeister zieht sich ein Durchschlag des Formularsatzes ein. Danach will er die restlichen Bögen tackern. Ich bitte ihn, dieses hochpreisige Dokument nicht durch eine schnöde Blechklammer zu verunstalten.
Der Weg zum Zoll führt mich an der Kaimauer an den Nachbau des türkischen Minenlegers „Nusret“ vorbei, dessen Minen französischen und englische Schlachtschiffe sinken ließen. Die Einnahme der Halbinsel verlief für die Angreifer desaströs (s. Wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Gallipoli)
Die Bucht der Schlacht von um die Südspitze der Dardanellen-Halbinsel ist mein letzter Ankerplatz in der Straße der Dardanellen. Der ortsübliche Nachmittagstarkwind greift rechtzeitig zum Ankern. In der Bucht unterhalb des riesigen 4-Säulen-Denkmals entwickeln sich 6 Beaufort mit Windspitzen um 29 kn (Bft. 7).
Der Rocna-Anker hält beim zweiten Eingraben, ich stecke bei ca. 3,70 m Tiefe etwa 30 m Kette und damit komme ich durch die Nacht.
Nach dem gröbsten Windeinheiten mache ich Schlauchi mit dem Aiußenborder klar und tucker zur Gedenkstätte mit dem großen Säulendenkmal.
Das ganze Areal auf der Anhöhe ist beeindruckend und vor allem schon durch die schiere Höhe dieses Denkmal mit den vier quadratischen und überdachten Säulen. Die Unterseite des Daches ziert die türkische Flagge, davon sind auf der Gedenkstelle noch einige aufgehängt.
Das ganze weitläufige Areal mit kleiner Moschee, den Gräberfeldern und Monumenten in Gefechtsszenen lädt zum Wandeln bei ständigem Blick auf die Meereinge ein.
Mehrfach ist der spätere türkische Präsident Ata Türk (Vater der Türken), hier noch mit seinem eigentlichen Namen Mustafa Kemal Pascha benannt, als herausragende Figur und Kommandant im Felde dargestellt.
Auf dem Soldatenfriedhof liegen in den Gräbern vermutlich alle ca. 57.000 türkischen Gefallenen, die bei den Verteidigungskämpfen an verschiedenen Kriegsschauplätzen der Halbinsel ihr Leben ließen.
Von den Gefallenen der Angreifer in nahezu gleicher Zahl, den Engländern, Australier und Neu Seeländern, findet sich keine Spur, nur eine Schautafel der versenkten und beschädigten englischen und französischen Kriegsschiffe findet sich am Rand der Ruhestätte mit Blick auf die Meerenge,
Etwas abseits dieser Gedenkstätte existieren andere Friedhöfe der Gefallenen anderer Nationen, dieser weitläufige Heldenplatz dient nur dem Ruhm und der Verehrung türkischen Soldaten und ihrer heldenhaften Verteidigung des Vaterlandes.
Berührt hat mich eine Gedenktafel eingangs der Ruhestätten, in der die Worte des Ata Türk an die Gefallenen und Hinterbliebenen gerichtet sind. Es müsste nicht so viel Leid geben!
Die Nacht wird es unruhig, der Wind lässt kaum nach. Dennoch gehe ich ausgeruht auf die Strecke nach Griechenland, zur Insel Limnos, wo ich in der Hauptstadt Mŷrina in die EU einklarieren kann, man wird begeistert sein von dem wertvollen Transitlog mit all den türkischen Stempeln und Unterschriften!
Die Fahrt nach Westen, nach Limnos (http://www.cruiserswiki.org/wiki/Limnos), bei Nordostwind beginnt harmlos bei 4 Windstärken, die sich ausgangs der Straße der Dardanellen schnell auf 5 und dann auf 6 mit entsprechender Wellenbildung steigern.
In der Spitze sind 31 kn auf der Windanzeige abzulesen, ich fahre nur mit kleinem Dreieck in der Genua und die Wellenkämme brechen in die Plicht.
Ich habe noch nie so hohe Wellen erlebt, die Luft ist durchtränkt mit salzigem Sprühnebel und alles ist in Aufruhr. Die „Lotus“ ist kaum zu bändigen, ich klammere mich in der Plicht an der Pinne und an den Winschen fest, reite mit ihr die Wellen ab und habe schwere Last, sie auf Kurz 270 zu halten.
Durch den Wind- und Wellendruck kippt das Dinghi hinter mir zweimal um, ich gehe mit dem Heck in den Wind, die Genua steht back und ich kann mich an das Heck hangeln und das Beiboot mit dem einfallenden Wind wieder umdrehen. Dabei muss ich das Vakuum überwinden, dass sich unterhalb des Dinghibodens gebildet hat.
Dieses Szenario von gut drei Stunden ändert sich erst an der Nordostspitze von Limnos, wie abgedreht, lässt der Wind rapide nach. Da aber die Wellen stehen bleiben, muss ich den Motor einschalten, die erzeugte Geschwindigkeit verringert das seitliche Rollen merklich.
Auf der Fahrt in die Ankerbucht unterhalb eines vor Jahren verlassenen Ferienressorts entspannt sich auch die See, ich kann unter der Fahrt des Autopiloten das Boot neu sortieren und die türkische Flagge gegen den gelben Putzlappen, meine Quarantäne-Flagge, austauschen.
In der Bucht liegt es sich bei klarem Wasser recht entspannt, ich brauche bei einem türkischen Mokka noch eine ganze Weile, um das Erlebnis dieses Törns zu erfassen, es war grenzwertig und ich erinnere mich anfangs der Kachelei noch an den Gedanken, dass ich hier jetzt nicht sein sollte. Aber die „Lotus“ hat das perfekt gemeistert!
Für nächsten Tag, Freitag, 12.08., ist die nördliche Umrundung der Insel Limnos geplant.
Ich hole mir vor dem Start noch die Wetterdaten ein und wundere mich am Ausgang der Bucht, warum das schon wieder so kachelt.
Die versprochenen 3 – 4 Windstärken sind in Wirklichkeit 5 – 6 Bft., nur die Windrichtung der Sonnenschein sowie die verprochenen 30°C stimmen.
Bis weit um die Insel herum herrscht wieder ein Wellengang, der von hinten steuerbords einschlägt.
Spektakulär sind einige Wellen, in denen das Boot mit steter Kraft von unten auf die Wellen kuppe gehoben und dann etwa 10 – 15 Grad nach Lee versetzt im Wellental wieder abgestellt wird.
Und wieder schickt man mir Delphine zum Aufmuntern, entzückend. Sie sind so dicht am Boot, drehen sich dabei in der Strömung und ich kann die Momente allerdings nicht fotografieren, zu schnell tauchen sie wieder weg.
Nach dem Wechsel der Genua auf backbordbug stelle ich zunächst fest, dass sich die Holeleine für das Vorsegel außen um die Trommel der Winsch vertüdelt hat. Dann lässt sich die Segelfläche nicht mehr verkleinern, diese Leine ist fest.
Mit flatternden Schoten lasse ich die Genua im Wind knattern und hangele zum Bug, um das Vorsegel einzudrehen und mit der Holeleine, aus den Wicklungen gezerrt, zu sichern.
So nah war ich den Wellen bisher noch nicht, ein Schauspiel!
In Myrina kann ich einklarien, die dortige Grenzpolizei will aber partout mein türkisches und Gold aufzuwiegendes Transitlog nicht sehen. Das könne ich mir einrahmen. Ich fasse es nicht!
Einklarien ist kein Problem, das dauert 10 Minuten. Aber das Prozedere mit der TEPAI-Bezahlung scheitert.
Jeder Tourist mit Boot wird – gestaffelt nach Schiffslänge – mit einer Steuer belegt. Dazu muss man sich auf einer Regierungsseite zunächst online mit den nötigen Daten registrieren. Dann kann man sich auf dieser offiziellen Seite an melden und es wird ein Zahlungscode generiert, der für das Online-Banking verwendet werden muss, da hernach nur so ein Zertifikat online erstellt wird, dass die Steuerzahlung für alle Behörden sichtbar bestätigt.
Es scheitert schon bei der Registrierung. Auf allen Geräten bleibt die aufgerufene Seite nach der E-Mail-Bestätigung leer.
Mit dem Laptop unter dem Arm gehe ich wieder zu den Grenzern, den ich klarmache, dass ihre Webseite nicht öffnet. Man glaubt mir nicht und nach langer Diskussion erbarmt sich eine Kollegin und lässt mich an den Dienstrechner. Das gleiche Ergebnis erzeugt bei den Anwesenden in dem Office Ratlosigkeit.
Man räumt ein, dass diese TEPAI-Bezahlung schon etwas kompliziert ist und dass nun die Webseite der Regierung nicht funktioniere, komme mal vor.
Ich bestehe auf umgehende Bezahlung dieser Steuer und ein junger Beamter setzt sich an den Schreibtisch und stellt mir ein Dokument mit der über die Barzahlung von 50€ Vergnügungssteuer für mich und die „Lotus“ aus.
Hinzu kommen noch 15€ Einreisesteuer. Willkommen in der EU!
Nach diesen Lehrstunden bei Schwerwetter der letzten beiden Tage gönne ich mir einen Tag Ruhe, am Sonntag wird es weitergehen, heute schiffe ich mich mit dem Dinghi zum griechischen Abendessen ein.
Was hier so permant weht, ist der Meltemi (türkischer Ursprung: meltem = Brise, sanfter Wind). Wiki führt dazu weiter aus, dass dieser Wind von April bis Oktober als trockener Nordwest-, Nord- und Nordostwind vom griechischen Festland in Richtung Kreta weht. Sein Maximum erreicht der Meltemi in den Monaten Juli/August und garantiert schönes Wetter.
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Und wie es mit der „Nocht“ weitergeht: https://nochtopreis.blogspot.com/