Apatin – Novi Sad – Eisernes Tor

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Reisetag 71 - 76 Donau-Km 1402 – 990 Wetter: zumeist sommerlich heiß, bis zu 31°C, windig bei 1 - 2 Bft., nachts Regen oder Gewitter, 16.06.: Ostwind mit 4 Bft.

Der Start in Apatin gelingt erst gegen Mittag (meine Wäsche war noch nicht fertig) und nach dem Ablegen kann ich meinen Plan Novisad zu erreichen nicht umsetzen.
Die Fahrt geht an Vukovar/Kroatien vorbei und mir fallen zerschossene Gebäude auf, eine Polizeidienststelle, ein Wasserturm und andere Kriegsruinen. Es ist bedrückend, der Kosovokrieg ist noch in Erinnerung und hier zeigen sich einige Wunden davon.

Kurz hinter Vukovar beschließe ich zu ankern, es ist kurz nach sechs, und hin einer Einmündung eines Donaualtarms nahe des kroatischen Ufers bei 3,50 m gehe ich nach vorne, um den Anker auszuklinken. Das Klarieren des Ankers dauert ein wenig, Zeit genug für die Strömung, das auszunutzen und die „Lotus“ auf einen Sandkegel mit 1,40 zu schieben.
Alle Versuche, sie davon herunterzufahren, misslingen, die Strömung schiebt die „Lotus“ fest, sie steht leicht schräg.

Da das Dinghi natürlich noch in seiner Tasche liegt, hole ich es hervor, entfalte es und fange an, es auf dem Vorderschiff aufzublasen.
Der Plan sollte sein, Anker und Kette mit dem Beiboot möglichst weit in Richtung Fahrrinne zu verbringen, um dann die LM mit der elektrischen Ankerwinsch von der Barre zu ziehen.
Meine Bewegungen mit der Doppelhubpumpe wird mit einem Mal durch rhythmische Anfeuerungen vom nahen Ufer begleitet und ich bemerke Männer bei einem Zelt, die mich offenbar beobachten.

Weil diese außerhalb der Rufweite sind, mache ich weiter und sehe dabei, wie sich ein Boot und etwas später ein weiteres Motorboot in meine Richtung aufmacht.
Ein freundlicher Mann, der sich später als Tomislav verstellt, nicht der einzige mit diesem Namen in nächster Zeit, bietet an mir zu helfen, was erst nach mehreren Versuchen gelingt. Er kann mich dann aber mit seinem nicht üppigen 25 PS-Außenborder tatsächlich in tieferes Wasser bei angenehmen 3,50 m ziehen, wo ich den Anker fallen lassen kann.

Tomislav möchte nicht auf ein Bier eingeladen werden, er besteht darauf, dass ich ihn zum Camp begleite, wo man in Ruhe mit den anderen Jungs eines nehmen könne.
Meine Bedenken, dass ich rechtlich gesehen erst in der nächsten serbischen Zollstation aus-, dann einem kroatischen Amt einklarieren muss, um „sein“ kroatisches Ufer zu betreten, zerstreut er mit einer abwertenden Handbewegung und dem Hinweis, dass es schwachsinniger nicht gehe.

Auf kroatischem Boden angekommen stehe ich in einem Pappelwald mit mehreren bunten Zelten und vereinzelten schlichten Holzhütten, ein richtiges Camp mit allem was nötig ist: Kühlschränke, Feuerstelle, großer Esstisch und Stereoanlage.
In einem großen Feuertopf köchelt eine rot-braune Suppe vor sich hin und zu der werde ich von Tomislav und Josep, dem anderen Helfer, eingeladen. Diese sehr scharfe, aber leckere Paprikafischsuppe wird zusammen mit frischem Weißbrot, kleinen Scheiben von geräucherter Salami. Tomaten und Bier gereicht und es wird wieder ein vergnüglicher Abend.

Tomisalv, 49 Jahre, ist pensionierter Soldat , der mit 17 Jahren in die Armee eintritt und im Kosovokrieg 1991 nach Schrapnellbeschuss an den Gliedern schwer verletzt wird. Er zeigt mir dann ein Bild seines Ausscheidens als Sergeant-Major, er ist stolz und trägt im Camp das Tarnfleck, dessen Jacke nur für die Eingeweihten in Herznähe die Umrisse Kroatiens trägt.

Auf die zerstörten Gebäude in Vukovar angesprochen, reagiert er mit zorniger Trauer, Vukovar sei ein Drama gewesen und der von mir beobachtete Wasserturm mit seinen Einschüssen stehe trotz zahlreicher Treffer des serbischen Geschützfeuers nach wie vor aufrecht und mächtig. Heute sei das eine Gedenkstätte und ein Museum. Er schildert es emotional, aber ohne Groll.

Thomasse

Schon weit nach Einbruch der Dunkelheit und Einnahme eines Eigendestillates sehr hochprozentiger Zwetschge werde ich von Tomislav zur „Lotus“ gefahren. Ich verabschiede mich überschwänglich von meinem Namensbruder und Helfer in der Not. Nette Leute!

Auf der weiteren Fahrt ins Delta, es sind noch 1329 Kilometer, kommt endlich etwas Abwechselung auf, der Ufersaum des bisher blickdichten Auenbewuchses lockert zunehmend auf und am Horizont sehe ich Bergketten. Hin und wieder stehen Kühe und Pferde auf ihren Weiden und drängeln sich unter Schattenspendern oder stehen knietief im Wasser.

Dann kündigt sich Novi Sad durch die vorgelagerten Industrieanleger und Leichter im Strom an und der schnelle Blick in das Donaubuch bietet verschiedene Anlegemöglichkeiten an, eine davon ist ein Altarm mit mehreren Yachtclubs, deren Stege nahezu voll belegt sind. Es ist Wochenende und entsprechender Freizeitbetrieb herrscht im und am Wasser.

Erst nach einer Ehrenrunde finde ich im vorderen Bereich ein Platz am Kopf eines Anlegers, wo ich gleich auf einen Herrn meines Alters treffe, mit dem aber die Verständigung sehr schwierig ist. Er ruft hinüber zum Nachbarsteg, es macht sich ein weiterer Bootsbesitzer zu mir auf und stellt sich als Tomislav vor. Zufälle gibt’s!

Mein Problem stelle ich ihm dar, er will mir helfen. Da kein Strom an den Stegen liegt, kann ich meinen 220V-Kleinkompressor oben in dem Gemeinschaftshaus einstecken, Tomislav trägt sogleich mit am noch gefaltetem Dinghi und dem Zubehör zum Aufpumpen.
Oberhalb der Stege haucht der Kompressor aufgrund Überhitzung sein Leben aus, es riecht nicht gut. Mit der Hubpumpe wechsele ich mich mit Tomislav ab bis auch diese sich als nicht mehr gebrauchsfähig herausstellt.
Ein anderer Bootsbesitzer trifft ein und kann den ersehnten Werkstattschlüssel mit dem Zugang zum großen Kompressor bringen, wo das Schlauchboot endlich und innerhalb von 3 Minuten zur prallen Füllung aufgeblasen wird.

Am Sonntag Vormittag mache ich mit dem Klapprad auf in die Innenstadt von Novi Sad, die zwar nicht die älteste Stadt an der Donau ist, aber dennoch durch ihre alten Bauten im Neorenaissancestil (das musste ich auch erst finden!) auf. Der Freiheitsplatz bietet tolle Blicke auf diese Bauart und zudem ungezählte Restaurants und Cafés, in der Stadt herrscht ein Trubel, man hat das Gefühl, alle sind draußen.
Gut, das Wetter mit dann wieder 30°C lädt zu Aktivitäten unter freiem Himmel an.

Vom Freiheitsplatz führt eine Promenade zurück in den Donau-Altarm, wo die „Lotus“ liegt, die nur Fußgängern, Läufern (es gibt tatsächlich eine Laufspur aus einem roten gummierten Belag!) und Radfahrern gerate ich an ein Denkmal nahe von Stümpfen alter Brückenpfeiler.
Ein kleiner runder Platz wird gegenüber der Festung Petervardin mit einem Bronzedenkmal eines jungen Elternpaares geziert, die Hinweistafeln in serbisch und hebräisch sind für mich bis auf die Jahreszahl 1945 nicht lesbar und so ist mir nicht klar, ob die kleine Familie etwas mit dem Kosovokrieg 1999 oder eine frühere Bedeutung hat.
Ein junger Fahrradfahrer an dem Platz weiß auch nicht viel, nur dass an dieser Stelle ein Massaker im 2. Weltkrieg stattgefunden haben soll.

Das Problem aber ist derzeit, dass Serbien nicht zur EU gehört, meine Mobilfunkkarten im Handy an Bord lassen keinen Datenverkehr zulässt und ich somit nichts recherchieren kann. Zudem kostet hier die Gesprächsminute mit Deutschland 2,99€. Das allabendliche Telefonat nach Hause beschränkt sich auf das Notwendigste.
Es lohnt nicht, eine serbische Prepaid-Sim zu erwerben, in 372 Fluss-Km bin ich wieder auf europäischen Gebiet im Dreiländerecke Serbien/Rumänien/Bulgarien kurz vor der Walachei.

Der nächste Halt am Tag 73 ist ein Anker- und Bojenplatz in einem Donaualtarm unterhalb von Belgrad, wo kurz nach dem Ankerfall die Sonne mit der Silhouette des Vorstadt Zemun untergeht.

Belgrad lasse ich wegen meines bekannten Problems aus und fahre morgens weiter bis nach Kostolac/Serbien, eine Kleinstadt von ca. 10.000 Einwohner.
Von Vladimir erfahre ich später, dass der Kanal mit daran angeschlossenen langgestreckten Hafen von Deutschen zur Nazizeit ausgehoben wurde, um ihn für den Transport von Steinkohle zu benutzen, die unter der Erde von Kostolac zu Tage gefördert wurde. Auch das werde ich nachlesen.

Ich ankere in Nähe einer kleinen Marina, wo gleich dahinter eine Naturbadeanstalt, wo am Kiesufer unter reetgedeckte Sonnenschirme ausgedehnte Liegestuhlreihen ein mediterranes Ambiente andeuten. Gleich dahinter ist eine Gaststätte mit überdachter Terrasse mit Blick auf den Hafen. Da kommt Urlaubsstimmung auf.

Nach dem Ankern mache ich mich unter Rudern mit dem Dinghi in Richtung des Restaurants auf und werde kurz vor dem Festmachen an dem Ponton von einem Mann, der sich später als Vladimir vorstellt, an die Badeplattform seines Motorbootes heran gerufen. Ich entere sein Boot, wir stellen uns vor und drei Minuten später nehme ich auf dem achterlichen Sonnendeck Platz, bekomme ein Bier und anschließen gehen wir zum Restaurant.

Vladimir spricht recht gut englisch, die Verständigung klappt also leidlich gut, wir sind uns sympathisch und ich erfahre, dass er dauerhaft auf dem Boot lebt und auch im Winter seinen einzigen Wohnsitz in dem Hafen nutze. Vladimir ist ein Krieger, jederzeit einsatzbereit zur Verteidigung seines Landes und er lässt wissen, dass jede serbische Generation Soldaten in kriegerische Auseinandersetzungen schickt, da sich Serbien etwa alle 40 Jahren verteidigen müsse.

Er ist professioneller Taucher, besitzt den Lehrschein der Bayrischen Wasserwacht und erzählt stolz, untermalt mit einem Bild von vier großen Bernhardinern, dass er mit diesen Hunden im Weltvergleich die vierte Platzierung errungen habe. Wenn er etwas mache, dann richtig.

In den letzten Tagen wird das Knacken mit dem Steuer und der Ruderanlage immer drängender, das Lenken wird auch zunehmend schwerer.
Deshalb lege ich am tags darauf ein Reparaturtag ein und baue die gesamte vordere Lenkeinheit, die so genannte Steuerbox, aus. Dazu ist der massive Bowdenzug achterlich vom Ruderquadranten zu lösen, erst dann kann ich die Steuereinheit herausziehen und öffnen.

Steuerbox

Ich bin erstaunt, wie funktionell und simpel zugleich diese Einheit aufgebaut ist, reinige und fette alles neu durch und versuche herauszufinden, warum die Selbststeueranlage immer gegen eine gewissen Widerstand im Lenkstock dreht. So genau erschließt sich mir das nicht, ich kann aber
den Teller mit dem äußern Zahnkranz um eine viertel Drehung weiter zusammenstecken und stelle nun fest, dass es nicht mehr hakt, die Zähne arbeiten durchgehend ohne jeden Widerstand.

Als ich die Einheit wieder zusammenschraube, bemerke ich Vladimir wie er zur „Lotus“ schwimmt und das in einem einwandfreien sportiven Stil.
Er trocknet sich ab und ist beim Zusammenbau derart hilfreich, dass es schnell von der Hand geht, ich hätte etliche Stunden länger als die schon sechs vergangenen gebraucht.

Mit unseren Fahrrädern fahren wir danach in die überschaubare Innenstadt, ich kann einkaufen und anschließend lädt er mich zum Essen ein, er lässt sich nicht davon abbringen, stehe ich doch seiner Schuld.
Zudem bekomme ich ein Tauchmesser mit Schlaufen für die Bein oder Armbefestigung geschenkt, als ich von dem Verlust meines Yachtmessers erzähle, das auf dem Grund liegt, wo ich den Tampen aus dem Propeller zog.
Ich nehme das grandiose Geschenk an, die Ablehnung würde ihn verletzen so bedeutet er mir.
Es wird ein geselliger Abend, erst im Restaurant bei einer leckeren serbischen Fleischspezialität dann auf seinem Boot und später auf der „Lotus“.

Am nächsten Morgen, es ist der 15.06., ist es schon früh morgens mit 27°C derart warm, dass ich schnell abfahre, um durch den Fahrtwind wenigstens ein bisschen Luftbewegung im Boot zu haben.

Die Donau wird immer breiter und nach Ram, wo ich die türkische Festungsanlage besuche, die auf römischen Fundamenten errichtet wurde, wird die Landschaft auch wieder bergig und verändert sich zunehmend von dem etwas eintönigen Uferbewuchs der Auen hin zu offenen Bergzügen, die zunehmend steiler werden.
Auf dem Plotter kann ich in Höhe von Vinci eine Distanz zwischen den Ufern der Donau von ca. 2.5 Kilometer nachmessen, der Strom wird sich jedoch nahe des „Eisernen Tores“, wo sich die Donau zwischen den felsigen Balkanbergen durchzwängt, auch wieder verengen.

Um 07.45 Uhr erreiche ich den Eingang zum Eisernen Tor, der Wellengang, hackig-unangenehm wird jetzt durch Strudel ergänzt, mein elektrischer Steuermann verweigert seinen Dienst. Um mich herum wirkt das Wasser wie kurz vor dem Kochen und der Tiefenmesser zeigt Tiefen um die 35 m an.
Die erste enge Schlucht kündigt sich am rechten Ufer mit der Festung Golubač an, ein von den Serben im 14. Jahrhundert auf römischen Festungsmauern errichtetes Kastell, dass den Eingang der Schlucht überwachte.

Dann macht sich diese grandiose Kulisse der steil aufsteigen Karpartenberge mit der Donau auf, diese dazwischen eingezwängt scheint sich an den Engstellen zu wehren, es ist beeindruckend und ich komme mir ziemlich unbedeutend vor angesichts dieser großartigen Felsenhänge, teils schroff, teils bewaldet.
Nach den engen Passagen folgen ganz ruhige Abschnitte, das Wasser ist spiegelglatt und mit einem Mal ist es auch windstill, irgendwie unwirklich.
Das ändert sich mit der letzten Engstelle dieses Tages, wo ich nach achtern den Frachter fotografiere, der verdeutlicht wie mächtig das Gebirge ist.

Es ist genug für heute, das Erlebnis braucht eine Pause und darf nicht durch weitere Strecke verwässert werden. Zudem habe ich nach der letzten Engstelle die Dreistelligkeit der Flusskilometer erreicht, ab jetzt wird es überschaubar.

Um 12.45 Uhr lege an dem Pontonanleger der hübschen Stadt Donji Milanovac an, das Donaubuch verspricht hier sogar Wasser und Strom für Sportboote nachdem man sich bei der örtlichen Polizei anmeldet.
Es stellt sich heraus, dass das Tor des Anleger verschlossen ist und ein freundlicher Serbe geht zur Polizei, danach parkt ein Dienstfahrzeug der Grenzpolizei, der Uniformierte kann das Tor öffnen und möchte zunächst den Pass sehen. Anschließend schickt er mich zu den Kollegen nahe des Hafens, die mir nach mehreren Telefonaten mitteilen, dass der Ponton noch für ein Fahrgastschiff gebraucht werde. Ich mache wieder los und ankere in der Nähe.

Derzeit sitze ich dem Restaurant „Teuta“ nahe des Pontons weil ich hier das Internet nutzen kann, um endlich obiges auf die Webseite zu stellen.
In zwei Tagen reise ich wieder in ein Land ein (Rumänien), wo meine Mobilfunkkarten mit den Datenoptionen wieder akzeptiert werden und ich unbegrenzt mit der Familie telefonieren kann. Freu mich!